Stellungnahme des Kreistages des Rhein-Sieg-Kreises zu den durch Bund und Land erheblich verschlechterten Rahmenbedingungen für die kommunalen Haushalte

Dringlichkeitsantrag gem. § 9 GeschO

Stellungnahme des Kreistages des Rhein-Sieg-Kreises zu den durch Bund und Land erheblich
verschlechterten Rahmenbedingungen für die kommunalen Haushalte

Sehr geehrter Herr Landrat,

die Fraktionen von CDU und GRÜNEN beantragen für die nächste Kreistagssitzung am 28.09.2023 folgende Resolution als Dringlichkeitsbeschluss des Kreistages zu verabschieden und diese an die Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frau Ina Scharrenbach, und als Zuschrift an den Landtag , sowie den Bundesminister für Finanzen, Herrn Christian Lindner, und als Zuschrift an den Bundestag, weiterzuleiten:

Stellungnahme zu den durch Bund und Land erheblich verschlechterten Rahmenbedingungen für die kommunalen Haushalte

Die Landesregierung darf die kommunalen Haushalte nicht gefährden, sondern muss die kommunalen Finanzen stärken!

Der Kreistag des Rhein-Sieg-Kreises schließt sich dem Brief der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an und kritisiert ebenfalls den angekündigten Wegfall der Isolierung (NKF-CUIG) für die durch den Krieg in der Ukraine verursachten Folgekosten für die kommunalen Haushalte ab dem Jahr 2024. Dies gilt umso mehr, weil der Gesetzgeber noch im Dezember letzten Jahres für die kommunale Haushaltsplanung im Rahmen des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2023 die verpflichtende Isolierung dieser Kosten bis 2026 vorgeschrieben hatte und die Kommunen ihre aktuellen Haushalte entsprechend geplant haben.
Der Kreistag weist darauf hin, dass ein solcher Wegfall die große Mehrzahl der kommunalen Haushalte kurzfristig in die Haushaltssicherung führen und in vielen Fällen auch eine erhebliche Anhebung der Hebesätze notwendig machen wird. Die erhebliche Zusatzbelastung für die Kommunen hält nach wie vor an und lässt sich an nur wenigen Schlagwörtern verdeutlichen: Integrationskosten, Unterbringung geflüchteter Menschen, zusätzliche Kindergartenplätze mit zusätzlichem Betreuungsaufwand, zusätzliche Schulplätze mit ebenfalls gestiegenem Betreuungsaufwand, zumindest teilweise auf den Krieg zurückzuführende erhebliche Mehrbelastungen durch Inflation, besonders im Baubereich, Energiekosten, Zinsen und Personalkostensteigerungen.

Der Kreistag nimmt dies zum Anlass, auf folgende Punkte hinzuweisen, die zu einer Ausweitung der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen in NRW führen:
• Die aktuell angekündigten leichten Verbesserungen bei den Eckpunkten zum Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) 2024 ändern an der chronischen Unterfinanzierung genauso wenig wie die angekündigten Nachbesserungen in der Systematik der Finanzplanung. Selbst nach den aktuellen Änderungen der Eckpunkte wächst die Verbundmasse nur um 0,9%-Punkte an. Dies ist angesichts der Kostensteigerungen, insbesondere in den Bereichen Energie, Bauen und Personal deutlich zu wenig! Dadurch verschärft sich die Lage der kommunalen Haushalte in NRW weiter, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der kommunale Anteil an den Steuereinnahmen des Landes (die Verbundquote) mit 23%-Punkten grundsätzlich zu niedrig ist und deutlich erhöht werden müsste.
• Der ursprünglich für 2024 angedachte und nun auf 2025 verschobene Altschuldenfond sieht zur Finanzierung der teilweisen Entschuldung besonders überschuldeter Kommunen landesseitig in erster Linie eine horizontale Umverteilung zwischen den Kommunen vor. In diesem Modell beteiligt sich das Land
kaum und eine Beteiligung des Bundes ist bis heute nicht geregelt. Dieses Modell würde jedoch dazu führen, dass ab der Einführung 2025 mehr Kommunen in finanzielle Notlagen geraten. Deshalb muss sich das Land erheblich mehr an der Finanzierung eines Altschuldenfond beteiligen und im Bund muss
endlich eine Beteiligung der Bundesebene sichergestellt werden.
• Die für 2021 und 2022 wegen der Coronabelastungen gewährte Aufstockung der Finanzausgleichsmasse soll nun ab 2024 über 50 Jahre an das Land zurückgeführt werden, mit der Folge, dass den künftigen GFG jährlich 30 Mio. Euro entzogen werden. Hier ist zum einen sehr deutlich der nunmehr sehr
kurzfristig veranlasste Beginn der Rückführung zu kritisieren. Der Aufstockungsbetrag wurde als zinslose Kreditierung gewährt. Eine Rückzahlung sollte im Rahmen späterer Gemeindefinanzierungsgesetze in Abhängigkeit von der Entwicklung der Verbundsteuern und insoweit ggf. vom künftigen Aufwuchs
der kommunalen Finanzausgleichsmasse erfolgen. Ein Aufwuchs der Finanzausgleichsmasse ist aber absehbar nicht oder nur sehr geringfügig gegeben. Nun mit der Rückzahlung zu beginnen, wenn der kommunale Finanzausgleich nur geringfügig oder gar nicht anwächst und die kommunalen Haushalte vielfältigen weiteren Belastungen ausgesetzt sind, ist nicht nachvollziehbar und entspricht auch nicht den früheren Ankündigungen des Landes. Um die Kommunen zu unterstützen, sollte ernsthaft entschieden werden, auf die Rückführung dieser Kreditierung ganz zu verzichten, die Rückführung aber jedenfalls auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Finanzlage der Kommunen nicht ohnehin schon massiv in Bedrängnis gerät.

Auch die Bundespolitik gefährdet die kommunalen Finanzen in dramatischer Weise! Die Politik der Bundesregierung und des Bundestags gefährdet die kommunalen Haushalte dramatisch, weil sie den Kommunen Aufgaben zuweist, ohne für eine angemessene Finanzierung zu sorgen und durch eigene
Gesetzgebung den Kommunen sogar Steuern entzieht. Exemplarisch sind folgende Punkte zu nennen:
• Die Zuweisungen des Bundes für die Kosten der Unterkunft für geflüchtete Menschen (KdU) des Bundes über die Länder reichen angesichts der immensen Kostensteigerungen nicht aus. Diese Kosten sind im letzten Quartal 2022 um 14,1%-Punkte und im ersten Quartal 2023 um 19%-Punkte gestiegen.
• Die Kosten im Zusammenhang mit ankommenden Flüchtlingen sind seit 2021 erheblich gestiegen. Allein im Jahr 2022 sind die Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylBLG) um 61,2%-Punkte gestiegen und 2023 kommen weitere Steigerungen in erheblicher Größenordnung hinzu. Alle seriösen
Berechnungen belegen, dass die vom Bund für das Jahr 2023 zusätzlich bereit gestellten Mittel (eine Milliarde Euro) bei weitem nicht ausreichen. Trotzdem weigert sich die Bundesregierung bis heute, eine angemessene und auskömmliche Finanzierung der Kommunen sicherzustellen, die sich exakt an den
Zahlen der aufgenommenen Menschen ausrichtet. Für das Jahr 2024 gibt es bis heute noch nicht einmal die Zusage über die in diesem Jahr bisher zugesagte zusätzliche eine Milliarde Euro.
• Das „Wachstumschancengesetz“ des Bundes führt in seiner auf der Kabinettsklausur in Meseberg beschlossenen Fassung bundesweit zu kommunalen Steuermindereinnahmen von mehr als 2 Milliarden Euro. Die Finanzierung belastet die Kommunen mit Steuermindereinnahmen von 1,4%-Punkten, während Bund und Länder jeweils nur mit 0,6%-Punkten Steuermindereinnahmen rechnen müssen. Es verschärft die kommunale Finanzlage deutlich und trägt im Ergebnis zur Notwendigkeit kommunaler Steuererhöhungen bei.
• Der von Verkehrsminister Volker Wissing abgelehnte Ausgleich des tatsächlichen finanziellen Mehrbedarfs beim Deutschland-Ticket ist durch die Verkehrsverbünde und Kommunen nicht mehr zu übernehmen und würde bei Realisierung im Jahr 2024 zu einem Aus des Deutschland-Tickets führen. Die Ankündigung der Bundesregierung, in den Ausbau des ÖPNV für Klimaschutz, Qualität und eine bessere Erreichbarkeit der ländlichen Räume mehr in den ÖPNV zu investieren, ist bis heute nicht umgesetzt und es fehlt auch jeglicher Zeitplan dafür. Die Regionalisierungsmittel sind bis heute nicht in notwendigem Maße angepasst worden.
Die beschriebenen negativen Einflussfaktoren von Bund und Land auf die kommunalen Haushalte finden vor dem vor dem Hintergrund gleichzeitiger erheblicher Aufgabenstellungen für die Kommunen statt, wie zum Beispiel: aufwachsende Ganztagesbetreuung im Primarbereich, Investitionen in Klimaschutz, Klimafolgenanpassung, Energie- und Verkehrswende. Dazu kommen steigende Zinsausgaben, massive Tariferhöhungen und dramatisch gestiegene Preise bei Energie und Bauen. Ein Einhalten des Konnexitätsprinzip ist längst nicht mehr ansatzweise gegeben. Zusammengefasst lässt sich bei alledem und den neu hinzukommenden Aufgaben im Zusammenhang mit der Transformation feststellen, dass durch Aufgabenverlagerung auf die Kommunen bei gleichzeitiger Unterfinanzierung ein gefährlicher Trend entsteht: Während im Bund über Steuersenkungen diskutiert wird, werden die ehrenamtlichen Rats- und Kreistagsmitglieder wegen der Unterfinanzierung ihrer Haushalte vor die Wahl gestellt, massiv Leistungen zu kürzen oder in den Kommunen Hebesätze zu erhöhen, nicht selten sogar beides gleichzeitig. Dies gefährdet zunehmend die kommunale Selbstverwaltung und den sozialen Frieden und stärkt vor allem die extremen politischen Kräfte.

Deshalb fordert der Kreistag den Landtag und die Landesregierung auf,
• die im Dezember letzten Jahres im Rahmen des GFG 2023 vom Landtag ausdrücklich erlaubte und sogar pflichtig verlängerte Isolierung für die Jahre 2023, 2024, 2025 und 2026 wie ursprünglich vorgesehen beizubehalten und das Gesetz zur Isolierung dieser Kosten nicht mit Ende 2023 auslaufen zu lassen;
• für ein eine deutliche Anhebung der Verbundquote zu sorgen. Zielführend wären mindestens 25%-Punkte;
• für eine strenge Einhaltung des Konnexitätsprinzips und damit für eine verlässliche Finanzplanung der kommunalen Familie zu sorgen. Gleichzeitig fordert der Kreistag den Bundestag und die Bundesregierung auf,
• für eine angemessene und an die Zahl der aufgenommenen geflüchteten Menschen gekoppelte Zuweisung für die Kosten nach AsylBLG und den KdU zu sorgen;
• keine Gesetze mehr zu unterstützen, die zu einem Steuerausfall auf der kommunalen Ebene führen.

Darüber hinaus fordern wir Bundestag, Bundesregierung sowie Landesregierung und Landtag auf, nicht ständig neue mit viel Bürokratie und Overheadkosten versehene Förderprogramme aufzulegen, sondern diese Mittel angesichts der gewachsenen Aufgaben und der krisenhaften Finanzlage direkt der Finanzierung
der Kommunen zuzuschlagen.

Begründung der besonderen Dringlichkeit gem. § 9 Abs. 2 GeschO:
Wir halten diese Resolution neben der Unterstützung des Briefes der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister gegen den geplanten Wegfall der Isolierung des NKF-CUIG für notwendig, weil auch durch die Gesetzgebung und fehlende Unterstützung des Bundes erhebliche negative Folgewirkungen entstehen. Die Resolution richtet sich an Bundes- und Landesgesetzgeber sowie Bundes- und Landesregierung.

Mit freundlichen Grüßen,
gez.

Dr. Torsten Bieber Ingo Steiner
Marcus Kitz           Horst Becker

f. d. R. Christian-Alexander Heinrich

Anlage
Schreiben der Kollegenkonferenz des Rhein-Sieg-Kreises