Resolution des Kreistages des Rhein-Sieg-Kreises zur ÖPNV-Finanzierung

Sehr geehrter Herr Landrat,

die Fraktionen von CDU und GRÜNEN beantragen für die nächste Kreistagssitzung am 02.06.2022 folgende Resolution zu verabschieden und diese an den Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing, den Bundesminister für Finanzen Christian Lindner sowie die Landesministerin für Verkehr Ina Brandes und den Landesminister für Finanzen Lutz Lienenkämper weiterzuleiten:

Bund und Land sind aufgefordert, zeitnah für die weitere Umsetzung eines nachhaltigen und zukunftsfähigen ÖPNV neben den Finanzierungssäulen des ÖPNV „Ticketerlöse“ und „Verlustübernahme durch die Gebietskörperschaften“ eine dritte Säule dauerhaft zu implementieren. Diese dritte Säule „Steuermittel Bund und Länder“ sollte sich ausschließlich aus den Steuern des Bundes und der Länder speisen. Das Ziel muss ein stärker steuerfinanzierter ÖPNV sein, da das bestehende Finanzierungssystem die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht hat.

Begründung:

Mobilität ist ein unverzichtbarer Motor der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und somit ein wichtiger Standortfaktor. Egal ob es um die Wege zur Arbeit, in die Schule, zum Ausbildungsplatz oder auch Fahrten in der Freizeit geht: Die zukünftige Gestaltung der Mobilität muss darauf ausgerichtet sein, die von Bund und Ländern definierten Wachstums- und Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen.
Mit seinen 600.000 Einwohnern weist der Rhein-Sieg-Kreis sowohl stark verdichtete als auch ländlich geprägte Räume auf. Zudem gibt es intensive verkehrliche Beziehungen in die beiden Oberzentren Bonn und Köln, die sich in hohen Einpendler- bzw. Auspendlerzahlen widerspiegeln.
Aus diesem Grund investiert der Rhein-Sieg-Kreis als ÖPNV-Aufgabenträger mit seinen 19 Städten und Gemeinden sowie den kommunalen Verkehrsunternehmen seit Jahren verstärkt in einen klima- und umweltfreundlichen ÖPNV. Der ÖPNV stellt ein unverzichtbares Rückgrat für die Mobilität dar, ist Bestandteil der Daseinsfürsorge und leistet damit einen hohen gesellschaftlichen und klimapolitischen Beitrag.
Um klimapolitische Ziele erreichen zu können, ist eine quantitative und qualitative Verbesserung des Leistungsangebotes unabdingbar: Busse und Bahnen müssen bedarfsgerecht häufiger fahren als bisher, um den ÖPNV als echte Alternative zum Pkw zu etablieren. Dazu ist insbesondere auch in Tagesrandlagen sowie am Wochenende eine Verdichtung des Fahrplanangebots erforderlich. Es bedarf einer Vernetzung aller vorhandenen Verkehrsmittel. Diesen Weg beschreiten Verkehrsun-ternehmen im Rhein-Sieg-Kreis bereits, die auch andere Mobilitätsangebote wie Mietfahrräder, Bürgerbusse, Taxibusse und Anrufsammeltaxis in die Mobilitätsangebote einbinden.
Um ein bedarfsgerechtes, zukunftsfähiges, klima- und umweltfreundliches Verkehrsangebot auf-rechterhalten und weiter ausbauen zu können, bedarf es einer nachhaltigen und gesicherten Finanzierung. Mit der bestehenden Finanzierungsstruktur werden die ambitionierten Ziele einer Verkehrswende und den damit verbundenen Effekten nicht erreichbar sein. Bisher ruht die Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Deutschland auf zwei tragenden Säulen: der Steuerfinanzierung und der Nutzerfinanzierung.
Bund, Länder und Gemeinden stellen aus verschiedenen Quellen umfangreiche Mittel zur Finan-zierung der Verkehrsangebote und der Infrastruktur bereit. Ergänzt werden diese Finanzierungsquellen wesentlich durch Einnahmen aus Ticketverkäufen. Allerdings werden vor allem die Betriebs- aber auch die Investitionskosten der Verkehrsunternehmen hierdurch immer weniger ge-deckt. Es zeichnet sich ab, dass die Einnahmen der Verkehrsunternehmen nicht mehr ausreichen werden, um die in der Zukunft erheblich steigenden Aufwände zu decken.
Neben den allgemeinen steigenden Kosten für Energie und Personal, sind es auch die Ausgaben für eine lückenlose digitale Fahrgastinformation, Investitionen in eine moderne und barrierefreie Infrastruktur sowie in Fahrzeuge mit sauberen, emissionsarmen Antriebstechnologien, die es zukünftig zu kompensieren gilt. Auch wird der Fachkräftemangel die Verkehrsunternehmen vor wei-tere Herausforderungen stellen, was auch zu steigenden Kosten führen wird.
Um das Ziel zu erreichen, die Zahl der Fahrgäste im ÖPNV bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln, ist eine Erhöhung der Betriebsleistung im ÖPNV um durchschnittlich 60% nötig. Eine solche massive Ausweitung des Leistungsangebotes wird zu einem sehr hohen zusätzlichen investiven Mittelbedarf führen. Die aktuell geplante Aufstockung der Regionalisierungsmittel für den SPNV ist also für den dringenden Ausbau der Infrastruktur nötig, damit die notwendigen Kapazitäten bereitgestellt werden können und auch der Betrieb des SPNV gewährleistet wird.
Völlig anders ist die finanzielle Ausstattung für den Öffentlichen Straßenpersonenverkehr mit Bussen und Bahnen (ÖSPV), für den die kreisfreien Städte und Kreise als Aufgabenträger die Verantwortung tragen. Hier fehlt ein grundsätzliches und nachhaltiges Finanzierungsinstrument. Die aktuellen Zuschüsse sind bei weitem nicht ausreichend!

Auch bedarf es weiter einer Kompensation der coronabedingten Einnahmeausfälle. Hinzu kommt die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung aufgrund der weltpolitischen Ereignisse, welche die ge-samte Branche vor erhebliche zusätzliche Herausforderungen stellt. Allein die Preissteigerungen im SPNV für Strom und Diesel liegen bei rund 36%. Daher werden selbst bei Erreichen des Fahrgastniveaus von 2019 durch die Kostensteigerungen in allen Bereichen die Mittel und die Einnahmen nicht auskömmlich sein. Gleichzeitig ist die Akzeptanzgrenze für weitere Tariferhöhungen erreicht. Auch die finanzielle Belastungsgrenze der Kommunen, die die finanziellen Verluste aus dem ÖPNV über die Kreisumlage und die ÖPNV-Umlage in Höhe von aktuell über 50 Mio. Euro pro Jahr tragen, ist nicht erst nach Corona ebenfalls erreicht. Angesichts dieser Umstände und ohne eine weitere Säule der Finanzierung bliebe nur noch eine Reduzierung des Angebots als letzte Option.

Festzustellen ist: Eine zukunftsfähige Mobilität kann also offensichtlich nicht allein durch Ticketverkäufe und die Gebietskörperschaften finanziert werden! Wenn das Verkehrsangebot weiterhin aufrechterhalten und in die Ausweitung des ÖPNV-Angebots investiert werden soll, muss die Gesamtfinanzierung des ÖPNV neu geordnet und zur Finanzierung eine „dritte Säule“ von Bund und Land eingerichtet werden.
Mit Blick auf Klimaschutz und Lebensqualität will der Rhein-Sieg-Kreis zusammen mit seinen Kom-munen und Verkehrsunternehmen die Verkehrswende weiter vorantreiben. Ein starker Umwelt-verbund mit einem deutlich attraktiveren ÖPNV muss dafür das Rückgrat bilden. Guter ÖPNV darf jedoch nicht ausschließlich von der Kassenlage der Kommunen und Landkreise abhängen. Der Rhein-Sieg-Kreis ist zusammen mit seinen 19 Städten und Gemeinden bei der Finanzierung dieses gesellschafts- und verkehrspolitischen Ziels inzwischen eindeutig überfordert, was im Übrigen wahrscheinlich deutschlandweit gilt. Deshalb müssen Bundes- und Landesmittel in ein deutschlandweites ÖPNV-Finanzierungsprogramm investiert werden.
Aus Sicht des Kreistags ist es zwingend notwendig, den Wandel der ÖPNV-Finanzierung von einer überwiegenden Nutzerfinanzierung zu einer stärkeren öffentlichen Finanzierung durch Bund und Land einzuleiten, damit die Verkehrswende aktiv gestaltet und die gesteckten Klimaschutzziele erreicht werden können.

Mit freundlichen Grüßen
gez.
Dr. Torsten Bieber Ingo Steiner
Oliver Krauß Horst Becker
Marcus Kitz Michael Schroerlücke